Rezension Frank Schätzing Limit
Ausgangspunkt der Handlung ist Schanghai. Der Privatdetektiv Jericho erhält den Auftrag, eine junge Frau namens Yoyo, die Tochter eines chinesischen Unternehmers, ausfindig zu machen. Vorher muss er noch einen Kinderpornodealer durch Knieschuss ausschalten und an die befreundete Polizei überantworten. Das spielt sich im Schanghaier Armenviertel ab, wo Jericho die Spur der Verschollenen aufnimmt. Er findet heraus, dass sie in einer klandestinen Menschenrechtsgruppe engagiert ist. Wir erleben in atemberaubender Spannung, wie die Handvoll Demokratieverfechter nacheinander in brutaler Verfolgungsjagd von einem Killer ermordet werden. Mit diesen Passagen lässt Schätzing im Kopf des Lesers Filmsequenzen abspielen, die berühmten Kampfszenen auf der Kinoleinwand in nichts nachstehen. Damit soll offenbar belohnt werden, wer sich geduldig durch das Smalltalkgeschwätz einer fünfzehnköpfigen Reisegruppe gearbeitet hat, die auf dem Weg zum Mond ist. Charaktere aus dem Superreichen Milieu der Energiewirtschaft werden vorgeführt und die neuesten Einrichtungen der Raumfahrt. Bei der High-class-Weltraumreise handelt es sich um eine Werbeveranstaltung des englisch-amerikanischen Konzernchefs Orley. Er will Investoren und Kunden für seinen neu eingerichteten Weltraumaufzug gewinnen, mit dem er vornehmlich Helium-3 vom Mond zur Erde für die Befeuerung von Fusionsreaktoren transportiert. Orleys Ziel ist, über die Interessengegensätze von USA und China hinweg seine Errungenschaften uneingeschränkt allen potenten Marktteilnehmern anzubieten. Doch dunkle Machenschaften sind während des Mondausflugs im Gange, die genau das verhindern sollen. Einer der Mondreise-Teilnehmer macht sich daran, eine bereits für den Anschlag bereitgestellte Koffer-Atombombe scharf zu stellen, um auf dem Mond den Helium-drei-Förderbetrieb zu zerstören.
Die Menschenrechtsgruppe findet Hinweise auf diese Tat. Darum muss sie sterben. Nur Yo-Yo überlebt. Jericho findet sie. Nun heißt es gemeinsam mit ihr, mit ihrem Vater und dessen Freund vor dem Killer auf der Hut zu sein. Nach und nach finden sie heraus, dass sie es mit einer mächtigen Geheimorganisation namens Hydra zu tun haben. Deren Ursprünge weisen in die Zeit des Diktators von Äquatorial-Guinea zurück, der sich von Söldnertruppen schützen ließ und mit chinesischer Unterstützung internationale Anerkennung zu verschaffen versuchte, indem er einen eigenen Satelliten in den Orbit katapultierte. Doch statt weltweites Ansehen transportierte der Satellitenlounch der chinesischen Quasikolonie nicht nur einen bedeutungslosen Satelliten, sondern vor allem zwei Mini-Atombomben in den Orbit, die später ein Astronaut unbemerkt im Auftrag der Hydra zum Mond weiterbeförderte und dort versteckte. Aufgrund eines technischen Defekts bei Montagearbeiten wird dieser in den Weltraum geschleudert und stirbt.
Dieses Drama stellt Schätzing als Aufreißer an den Anfang seines Romans. Verfolgungsjagden mit tödlichem Ausgang gibt es später noch mehrere: In Schanghai, im Berliner Pergamon Museum und auf dem Mond. Aufseiten der Guten steht eine Netzsuchmaschine, die Passworte knackt und biografische Vorgeschichten der Übeltäter aufdeckt. Vor allem gelingt es Jericho und seinen Mitstreitern, einen Geheimtext schrittweise zu entschlüsseln, auf Grund derer sie die Mondbesucher vor dem Attentat warnen. Es gelingt, den Atombombenlegern in die Parade zu fahren und die Kofferbomben auf dem Mond kontrolliert zur Explosion zu bringen, ohne Schaden anzurichten. Somit wird am Ende erreicht, dass die Energieförderkonkurrenten China und USA ihre Koexistenz beibehalten und Jericho zurück in Schanghai mit der zuständigen Polizei weiter nach Kinderschändern fahndet. Und wir erfahren noch, dass Yoyos Vater die Verfolgung als jugendlicher Tien-amen-Demonstranten von 1989 gemeinsam mit seinem Freund durchstand und sich so aufs Engste mit ihm verband.
Von den Konzernführern der globalen Energiewirtschaft gibt Schätzing kein schmeichelhaftes Bild. Aber er verurteilt sie auch nicht. Vielmehr eröffnet er positive Perspektiven auf eine globale Konfliktvermeidung. Bedrohlich sind nicht die Geheindienste Chinas, Englands und der USA, sondern eine mafiöse global agierende Gruppierung, die mit Mord, Totschlag und Zerstörungsarbeit die Großen im Energiemarkt zu schlagen und sich neue Chancen in Megageschäften zu verschaffen versucht. Zum Schluss überlebt zwar der Hauptkiller, aber, weil der Mond-Komplott dank Jerichos Einsatz vereitelt wurde, ist er nun arbeitslos.
Am Ende sind sich lediglich Tochter und Vater nähergekommen. In Jerichos privater Lebensplanung sind Aussichten auf eine Liaison mit der geretteten Yoyo durchaus denkbar. Aber ob es ihm gelingt, seine zögernde Haltung gegenüber Frauen zu überwinden, ist nicht ausgemacht. In der Welt der 007-artigen Agenten und Detektive hat die Entfaltung harmonischer Gefühle kaum Chancen. Höchstens ein Schwächeeingeständnis und vorübergehende Entscheidungsunsicherheit lassen auch männlichen Akteure emotionsfähig und human erscheinen. Dafür übernehmen Frauen den Part von zielführender Entschlossenheit und stellen ihre Heldentauglichkeit unter Beweis.
Die Handlung des Romans wird getrieben von der Aufdeckung und Verhinderung des Bombenkomplotts und dem Wüten des Killers. Die Welt in ‚limit‘ ist politisch von der Dominanz Chinas geprägt, das sich längst in die kapitalistische Weltordnung eingefügt hat und im globalen Konkurrenzkampf um die Vorherrschaft im globalen Energiemarkt steht. Damit schließt Schätzing mehr oder weniger an die aktuelle Weltlage an. Das Menschenrechtsthema der chinesischen Regimekritiker muss zusätzlich für ein Spannungsfeld des politischen Untergrundes herhalten.
Die industrielle Ausbeutung des Mondes und dafür erforderliche Infrastruktureinrichtungen sind das eigentlich Futuristische an diesem Science-Fiction-Roman. Die menschenähnliche Internetsuchmaschine mit Passwortknackerfähigkeit ist schon kein Fantasieprodukt mehr. So etwas gibt es ja längst. Auch die impliziten Sozialstrukturen der Story bilden einen gegenwärtigen Zustand der Weltgesellschaft ab. Bei der relativ knapp bemessenen 10-15 Jahren Vorauszeit in die Zukunft ist das wohl so vom Autor beabsichtigt. Der Leser soll sich nicht von der ihm bekannten Lebenswelt weit entfernen. Dafür sorgen die Anschlüsse an die historische Wirklichkeit wie zum Beispiel an die Geschichte Äquatorial-Guineas. Hier will Schätzing informieren und über schmutzige nachkoloniale Verhältnisse aufklären. Er verankert seine Geschichte in einem realen afrikanischen Pfuhl aus Potentatenpolitik und privatwirtschaftlich organisierten Legionärseinheiten.
Unbekanntes Terrain erschließt sich dem Leser dadurch, dass ihm der Autor moderne Charaktere aus dem chinesischen Kulturkreis näherbringt. Das gilt für die Guten und den Bösen des Romans gleichermaßen. Doch sie sind umgeben von einer Auswahl internationaler Figuren, deren unterschiedlicher Nationalkolorit sich dem Leser nur durch Namen und Herkunftsangaben vermittelt. Dem Autor geht es um eine weltumspannende Gesamtschau von Wirtschaftsvertretern, nicht um völkerkundliche Besonderheiten seiner Protagonisten.
Eine Renaissance des Familienglücks im Roman erleben wir nicht. Selbst die Paarung Jerichos mit der intelligenten rotzfrechen Menschenrechtskämpferin bleibt unvollzogen. Mehr Frauenpower, schnellere Reisemöglichkeiten und ein paar zusätzliche Jobs auf den fast voll automatisierten Stationen im Weltraum und auf dem Mond, das sind die zukünftigen Errungenschaften, die nach Schätzings Vision auf uns warten. Während wir ein Alltagsleben vor Jahrzehnten ohne Internet, Handy oder gar Fernsehen für uns gegenwärtig nur schwer vorstellen können, dürften die Menschen des Jahres 2025 wohl kaum Unterschiede gegenüber unserer, also zehn Jahre zurückliegenden Lebensführung erkennen. Im sozialen Bereich bleibt es demnach vorerst beim Alten. Schätzings Limit hat nichts mit einer Sozialutopie zu tun, vielmehr ist es ein Agententhriller, der in absehbar naher Zukunft spielt und seine Spannung aus der Angst vor Killern und unberechenbaren Geheimorganisationen bezieht.